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Das 7. Jahr – kein bisschen verflixt

Es liegt was in der Luft... Nicht nur der Duft von frischem Kaffee. Auch eine gewisse Spannung. Es ist schließlich der 7. Lernkulturtag, der hier im ehrwürdigen Kloster zu Gengenbach zelebriert wird. Und die 7 hat´s in sich. Eine Glückszahl mit langer Tradition und viel Gewicht: Selbstbewusstsein, Durchhaltevermögen, Erkenntnis und Optimismus wird ihr zugeschrieben. Da sind wir mal gespannt...
"Anerkennung. Die hat schon jeder erlebt – und jeder vermisst."
9 Uhr. Mehr als 100 Teilnehmer, Unternehmer und Führungskräfte aus allen Teilen der Republik und der Schweiz lockt das diesjährige Thema "Anerkennung" in den Campus der Hochschule. Die meisten haben Flüge oder lange Autofahrten hinter sich. Wie beispielsweise Unternehmenschef Fritz Kreutzpointner, der von Burghausen in Südostbayern die Nacht durchgefahren ist. Kein Problem für ihn, er war schließlich mal Rennfahrer.

Erst alle mal alle zur Ruhe kommen. Auf der Bühne im großen Barocksaal empfängt uns "Musica do Brasil". Genivan verführt mit Gitarre und Cavaquinho, Partnerin Dorothee Scheibel verschmilzt mit ihrem Akkordeon. Sambaklänge – temperamentvoll, gefühlvoll, mitreißend. Bitte nicht aufhören...

Wir sind eingestimmt. Gemeinsam mit den Gastgebern Jürgen Eller und Ulrike Kliewer-Mayer begrüßt Moderator Markus Brock die Gäste und stellt gleich die Frage aller Fragen: Was bedeutet Anerkennung in der Führung, in der Unternehmenskultur und für die Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens?

Anerkennung. Die hat schon jeder erlebt – und jeder vermisst.

Was erwarten denn diesbezüglich junge Leute von ihren Chefs? Melanie Schiller, Teamleiterin für Marketing und Kommunikation bei Namics in München:  "Mein Chef muss mich machen lassen – auch Fehler! Ich brauche Vertrauen!" Jonas Horn, der ein freiwilliges soziales Jahr im Waldkindergarten in Offenburg absolviert: "Wertschätzung ist so wichtig! Wenn das gelingt, fühlt man sich wohl und kann dieses Gefühl an die anderen weitergeben". Marvin Löhmann, Student an der Hochschule Offenburg: "Ich finde, man ist bereit alles für einen Job zu geben, wenn die Atmosphäre stimmt". Und Moritz Kliewer, Partnermanager bei amazon advertising: "Meine wichtigste Erfahrung ist, wenn der Chef einen Mitarbeiter wertgeschätzt behandelt, tun es die anderen auch".

Ein Raunen geht durch den Saal, als eine Ordensfrau die Bühne betritt. Sehr kritisch betrachtet Bundesverdienstkreuzträgerin Mutter Martina Merkle von der Klosterschule Offenburg den Wandel der Welt und die Bedeutung für die Menschen. "Der gefährliche Ruf nach Abspaltung und gleichzeitig die Forderung nach sicheren Grenzen – wie soll das gehen? Wir brauchen einander!" Sie plädiert dafür, Gespräche aufmerksam zu führen, das Gegenüber Interesse spüren zu lassen, der Argumentation zu folgen. Und wenn es Konflikte gibt, diese respektvoll auszutragen. Mache den ersten Schritt!" Und sie zitiert den Religionsphilosophen Martin Buber: "Der Mensch wird am Du zum Ich".

Aber jetzt bin ich irritiert. Da fragt doch Markus Brock ganz ernsthaft einen Zugführer, woher die vielen Verspätungen bei der Deutschen Bundesbahn kommen. Sind wir noch beim Thema Anerkennung?

Und ob! Denn der Zugführer sagt es ohne Schnörkel: "Wir bei der Bahn sind immer unter Druck. Es gibt viel zu wenig Personal. Wir werden mit Entscheidungen konfrontiert, die wir nicht verstehen. Keiner aus den Führungsetagen spricht mit uns oder erklärt etwas. Irgendwann ist einem alles egal und man lässt es laufen. Es knirscht im Betrieb. Zugverspätungen sind die Folge".

Überrascht? Dann darf man ja mal fragen, ob man selber in seinem Job genug Anerkennung bekommt. Markus Brock teilt uns in Gruppen und jeder kann sich selbst hinterfragen: Wo hätte ich Anerkennung gebraucht? Wann wurde ich "gesehen". Was hat das bei mir bewirkt?

Ganz schön anstrengend diese Konfrontation mit sich selbst. Eine halbe Stunde Pause. Wer mag, geht in den Raum der Stille ins Obergeschoss zu Peter Wulf und versucht den brummenden Kopf zu ordnen.

Auftritt der beiden Technischen Leiter der Firma Kreutzpointner Walter Bauer und Christian Schanda. Markus Brock möchte wissen, wie es war, bevor die neue „Anerkennungs-Strategie“ im Hause eingeführt wurde. „Jeder hat halt vor sich hingewurschtelt“, sagt Schanda leise. Und er findet es beachtlich, dass der big boss Fritz Kreutzpointner den Mut hatte, die Firma „von außen“ weiterentwickeln zu lassen.

Mit welchen Folgen? Walter Bauer "Ich bin wirksamer geworden". Und er empfiehlt: "Auf Neues muss man sich einlassen, selber ausprobieren. Beim Zuhören im Mitarbeitergespräch bitte nicht an der eigenen Strategie basteln. Das Wichtigste ist Vorleben". Die beiden Herren räumen ein, dass sie nicht sofort an die drei Säulen der Erfolgsstrategie der Lernraum.Akademie geglaubt haben. Heute sind sie froh, nicht gleich alles hingeschmissen zu haben – weil es tatsächlich funktioniert: Dass man Führung lernen und üben kann, dass man sie aber regelmäßig reflektieren, trainieren und kontrollieren muss. Dass es Führungsstandards gibt und eine Führungsstruktur. Das bedeutet Klarheit in der Hierarchie – definiert, kommuniziert und immer wieder kontrolliert. Ein schöner Abschluss-Satz von Christian Schanda: "Anerkennung kann auch eine Hand auf der Schulter sein!" Seufz!

Und wieder heißt es gut zuhören! Dr. Katharina Roos und Dr. Hannes Beckenbach von der Netzwert Partner GmbH, München machen den Praxis-Check im Plenum mit einem Fragebogen zur Selbstreflexion. Locker gesagt: Wie gut kenne ich mich und wie gut mein Team? Das hat etwas miteinander zu tun, Leute!

So, was habe ich bisher gelernt. Ich kann es in mein kleines "Lernbuch" eintragen. Das Wichtigste für mich: Man kann andere nur (an)erkennen, wenn man sich selbst (an)erkennt. Und: Unternehmen sind dann für neue Mitarbeiter attraktiv, wenn sie eine Anerkennungskultur leben. Und die Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens ist natürlich auch größer, wenn die Reibungsverluste geringer sind. Verstanden!

Mittagspause. Eine lange Tafel im Obergeschoss. Wunderschön aufgetischt ist ein üppiges badisches Vesper mit dem berühmten Gengenbacher Klosterbrot. Für Kartoffelsuppe mit Speck darf man Schlange stehen und mit dem noch unbekannten Gegenüber Eindrücke austauschen. Für den ungebremsten (Wissens)durst gibt´s Hornberger Lebensquell. Passt!

Wir sind gestärkt für Achtsamkeitsübungen mit Peter Wulf – und für einen überraschenden Perspektivwechsel von Berater Helge Russ: "Schon mit unserer Geburt haben wir Anerkennung bekommen. Dann auch noch durch unsere Daten im Pass. Es gibt uns! Die Gefahr ist heute, dass Anerkennung von außen nur unser Bild meint, unser Image. Und wenn unser Anerkennungs-Wille zur Sucht wird, verliert man die Souveränität. Wir müssen wieder lernen, einem Menschen in die Augen zu schauen, ihn anzusehen, um ihn zu erkennen".

Er hat auch eine Übung dafür parat: Jeder möge auf drei Leute zugehen und sagen "Ich sehe dich". Klingt merkwürdig, ist aber erstaunlich in der Wirkung. Ich habe das Gefühl, meinem jeweiligen Gegenüber erstmals richtig in die Augen geschaut und ihn angesehen zu haben.

Kein Lernkulturtag ohne Workshops. Also bitte in Gruppen aufteilen, Räume gibt´s genug. Und voll hinein ins Thema: Wie gebe ich Anerkennung durch Feedback? Was ist der Unterschied zwischen Lob und Anerkennung (Lob ist flüchtig, Anerkennung bedeutet, auf Augenhöhe zu gehen). Und nun proben wir das Ganze: Ich nehme wahr an Dir... Das löst es aus bei mir. Das wünsche ich mir....

Pause. Es fühlt sich an, als hätten sich die 100 Leute schon immer gekannt. Ich bin doch überrascht, dass solche sehr persönliche Fragen und Übungen die Teilnehmer miteinander verknüpft. Der frisch gebackene Apfelkuchen setzt noch eins drauf.

Wir sind wieder im Barocksaal, der Tag neigt sich. Jürgen Eller will wissen: was hat Sie überrascht, was hat Sie tangiert. Vorsichtige, suchende Antworten. Man ist einfach noch zu berührt...

Was mich berührt hat? Dass dieser Lernkulturtag der Zahl 7 in ihrer Bedeutung alle Ehre gemacht hat: Selbstbewusstsein, Durchhaltevermögen, Erkenntnis und Optimismus waren spürbar. Von einem verflixtem 7. Jahr konnte keine Rede sein!
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